Kein Platz für "Social Distancing"
Integrationsbeauftragte prangern Zustände in Gemeinschaftsunterkünften an
Die Integrationsbeauftragten aller Bezirke haben den offenen Brief an den Senat unterschrieben: Sie weisen auf die brenzlige Situation in Gemeinschaftsunterkünften in Corona-Zeiten hin und fordern eine geringere Belegungsdichte sowie verbesserte Bedingungen für digitales Lernen.
Es ist das gebündelte Wissen um den Status quo der Gemeinschaftsunterkünfte für geflüchtete und wohnungslose Menschen in ganz Berlin, das dem Brief an vier verantwortliche Ressorts der Landesverwaltung zugrunde liegt. Und das besagt: In manchen Unterkünften teilen sich bis zu 80 Personen ein Bad oder eine Küche. "Das ist krass!", sagt Leon Godeffroy, Integrationsbeauftragter des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf und Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der bezirklichen Integrationsbeauftragten. Aktuelle Informationen über den Virus erreichen aufgrund von unzureichendem Internet und Verständigungsschwierigkeiten nicht alle in den Einrichtungen. Gerüchte über infizierte Personen oder der Einsatz von Sanitätern und Polizisten rufen Verunsicherungen und Ängste hervor. „Mit größter Anstrengung versuchen die Menschen in den Einrichtungen, ihren Alltag aufrechtzuerhalten und Ansteckungen zu vermeiden“, steht im Brief geschrieben. Ein „Social Distancing“ sei unter diesen Umständen schlichtweg nicht möglich, die Ansteckungsgefahr hoch, sagt Godeffroy auf Nachfrage.
Teilhabe an der Gesellschaft
Auch das Beschulen der Kinder in den Unterkünften funktioniere nicht. Oft fehle es an der Ausstattung mit WLAN, von der Hardware ganz zu schweigen. „Manche Schulen wollen ein Arbeitsblatt auf einer bestimmten Folie ausgedruckt haben. Aber das Empfangen von Hausaufgaben per E-Mail oder das Drucken an sich ist schon ein Problem.“ Die Folgen für die Kinder, die ohnehin um Anschluss kämpfen, benennt Godeffroy auch: „Sie werden stärker abgehängt, die psychische Belastung wächst.“ Die Schulen müssten dahingehend sensibilisiert werden. Auch für die Erwachsenen brauche es dringend WLAN in allen Zimmern, sie nähmen ja oft an Sprachkursen teil. „Es geht um die Teilhabe an der Gesellschaft“, sagt er.
Die Lage in den fünf Flüchtlingsunterkünften des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf hinsichtlich des Coronavirus bezeichnete Godeffroy als „ruhig-angespannt“. „Wenn es einen Verdachtsfall gibt, besteht mittlerweile wenigstens die Möglichkeit der Einzel-Quarantäne in Pankow.“ Dennoch wünsche er sich eine Entzerrung der Belegung. „Es gibt derzeit so viele unbelegte Ferienwohnungen und Hotels in Berlin. Würde man sie für die Risiko-Personen anmieten, hätte man eine Win-Win-Situation.“ Das gleiche gelte übrigens auch für die Unterkünfte für Wohnungslose. „Das fällt uns im Diskurs zu sehr hinten runter“, so Godeffroy.
Autor:Matthias Vogel aus Charlottenburg |
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