Der Anti-Mobbing-Trainer aus Neukölln
Carsten Stahl ist in Deutschland die lauteste Stimme gegen Gewalt unter Schülern

Carsten Stahl erreicht auf seinen Veranstaltungen in Schulen alle: Mobbing-Opfer, Täter und Mitläufer. | Foto: Carsten Stahl
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  • Carsten Stahl erreicht auf seinen Veranstaltungen in Schulen alle: Mobbing-Opfer, Täter und Mitläufer.
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Seit Jahren zieht Carsten Stahl voller Energie als Anti-Mobbing-Coach von Schule zu Schule. Dann erzählt er auch von Neukölln, wo er aufwuchs. Und diese Geschichten haben es in sich.

Wenn Carsten Stahl laut, direkt und auch einfühlsam in einer Turnhalle vor Hunderten von Schülern über Mobbing redet, wie gerade in einem Berufskolleg in Charlottenburg, erzählt er immer auch seine eigene Lebensgeschichte. Und die ist gespickt mit Erfahrungen voller Scham, Fehltritte und schmerzhafter Einsichten, aber auch Befreiungen.

Carsten Stahl war und ist so vieles: Mobbingopfer, Krimineller, TV-Actionheld, Familienvater, Anti-Gewalt-Trainer und mittlerweile auch Initiator der nationalen Kampagne „Stoppt Mobbing“. Über 49 000 Kinder und Jugendliche haben ihm schon zugehört – denn der Berliner zieht seit über fünf Jahren bundesweit von Turnhalle zu Turnhalle, Schulaula zu Schulaula.

Begegnung auf Augenhöhe

Sein Ziel: Er möchte Kinder und Lehrkräfte über Mobbing aufklären, was ihm tatsächlich außerordentlich gut gelingt. Wer bei einer seiner Veranstaltungen dabei ist, erlebt, wie er sich nach und nach die Aufmerksamkeit erobert, so auch diesmal. Er ist lustig, spricht die Sprache der Jugendlichen, begibt sich auf deren Augenhöhe. Er bietet ihnen eine Achterbahn an Emotionen, ist unterhaltsam und vor allem: authentisch. Die Schüler danken es ihm mit tosendem Applaus und anerkennenden Pfiffen.

Irgendwann erzählt Carsten Stahl den Jugendlichen dann die Geschichte von dem zehnjährigen Jungen, der im Kiez Sonnenallee aufwuchs. Der rötliche Haare hat, viele Sommersprossen. Der über einen langen Zeitraum von fünf Jungs – der älteste 15, der jüngste 13 Jahre alt – zutiefst erniedrigt, geprügelt, beleidigt und bespuckt wird. Der Angst hat, zur Schule zu gehen. Der sich niemanden anvertraut, auch vor den Augen der Mitschüler misshandelt wird. Dem kein anderes Kind hilft, für den niemand zum Lehrer geht, um Hilfe zu holen. Der eines Tages vor den fünf Jungs davonläuft, in einer Sackgasse landet, wo der Älteste ihn mit Anlauf und voller Wucht in eine drei Meter tiefe Baugrube stößt, durch die Holzabsperrung hindurch. Der mit gebrochenen Rippen und aufgeschlagenem Kopf weinend und blutend in der Grube liegt – auf den die lachenden Jugendlichen auch noch herunterpinkeln bevor sie gehen. Als sie weg sind, ruft der Junge in der Grube nicht nach Hilfe, weil die nicht zu erwarten ist. Er will sterben. Carsten Stahl weiß das genau – denn es ist seine Geschichte. Spätestens jetzt ist vielen seiner Zuhörer zum Weinen zu Mute.

Vom Opfer zur Kiezgröße

„Ein älterer Mann, der mit seinem Hund Gassi gegangen ist, hat mich dann nach Einbruch der Dunkelheit gefunden, weil der Hund angeschlagen hat. Ansonsten wäre ich in der Grube tatsächlich gestorben“, erzählt er weiter. Im Krankenhaus bekam er eine Bluttransfusion. Als der Arzt ihn fragte, was denn passiert sei, habe er geschwiegen, wie immer: aus Scham und weil die Jungs gedroht hatten, seine Mutter umzubringen, falls er etwas von den Misshandlungen erzählen würde.

Stahl wurde kriminell, eine Kiezgröße in Neukölln. Seine damalige, von ihm schwangere Freundin verprügelten seine Widersacher so, dass sein ungeborenes Kind starb. Da habe er gemerkt: Er selbst ist daran Schuld – niemand anders! Carsten Stahl fasste den Entschluss, sich aus dem Sumpf raus zu kämpfen, schaffte es tatsächlich, wurde Hauptdarsteller der RTL2-Serie „Privatdetektive im Einsatz“. Heute ist er Familienvater und mit Haut und Haaren Anti-Mobbing- und Anti-Gewalt-Trainer.

Identifikationsfigur für alle Beteiligten

Es ist verblüffend, wie offen sich die jungen Zuhörer ihm anvertrauen. Bei ihm docken alle an: Opfer, Täter und Mittäter. Ein paar Stunden reichen aus, damit sich Mobbingopfer plötzlich gestärkt fühlen, Täter geschwächt und uncool. Wegseher verstehen, dass sie beim nächsten Mal eingreifen müssen. Auch die Lehrkräfte, die mit im Raum sitzen, bekommen Einsichten und Tipps, wie man Mobbing erkennen und dagegen angehen kann. Nach der Veranstaltung stehen einige der Jugendlichen bei Carsten Stahl Schlange. Sie danken ihm, erzählen von ihrem eigenen Leid, manche weinen. Stahl nimmt sie in den Arm, spricht aufmunternde Worte in ihre Smartphones, erlaubt Selfies mit ihm.

Aus solchen Momenten, in denen die Isolation der Opfer breche, ziehe er seine Kraft, sagt er später, denn die Arbeit als Anti-Mobbingtrainer zehre ungemein. Sie sei aber mehr als nötig, weshalb er ganz sicher weitermache – auch wenn immer noch manche Politiker oder Pädagogen ihn belächelten oder wegen seiner kriminellen Vergangenheit als Coach ausbremsen wollten. „Wer, wenn nicht ich, ist der lebende Beweis dafür, dass man solche extrem schwierigen Lebenssituationen, in denen Kinder und Jugendliche in Neukölln oder sonst wo feststecken, überstehen und zum Besseren wenden kann?“

Wer sich der nationalen Kampagne „Stoppt Mobbing“ anschließen möchte: Infos gibt es unter www.stoppt-mobbing.de.

Autor:

Corina Niebuhr aus Kreuzberg

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