Wohnkonzepte aus hundert Jahren
Ausstellung über Stadtarchitektur in der Helene-Nathan-Bibliothek
Wer sich für Architektur begeistert, sollte beim nächsten Besuch der Helene-Nathan-Bibliothek ein wenig Zeit mitbringen. Hier ist nämlich die Ausstellung „Neues Wohnen in Neukölln“ zu sehen.
An elf Beispielen wird gezeigt, welche Antworten die Planer auf die Erfordernisse ihrer Zeit gegeben haben. Von 1900 bis heute. Dabei stehen nicht allseits bekannte Quartiere wie die Hufeisensiedlung oder die Gropiusstadt im Mittelpunkt, sondern andere Ensembles, die ebenfalls beeindruckend sind. So wie Häuser rund um die Schillerpromenade. In sie sollten Anfang des vorigen Jahrhunderts gut betuchte Menschen ziehen. Doch die Rechnung ging nicht auf. Hauptsächlich Familien mit niedrigen Einkommen wollten hierher. Mit der Folge, dass die Wohnungen angesichts der hohen Mieten bald hoffnungslos überbelegt waren.
Anders die Ideal-Passage, errichtet ab 1907 zwischen Fulda- und Weserstraße: Die kleinen Wohnungen sollten ganz normale Familien beherbergen – unter dem Motto „Licht, Luft und Sonne“. Das Konzept der Ideal-Genossenschaft funktionierte.
Produkt dreier Etappen
Nur wenige Jahre später baute dieselbe Genossenschaft zwischen der Britzer Hannemann- und Franz-Körner-Straße ihre Kolonie Ideal. Sie ist geschichtlich besonders interessant, weil sie von unterschiedlichen Stilen geprägt ist. Die ersten Häuser, die bis 1919 entstanden, sind mit ihren Erkern und Giebeln recht malerisch. Dann übernahm Bruno Taut die Planungen. Er führte Zeilenbauweise und Flachdächer ein. Beim letzten Abschnitt waren die Nazis am Ruder. Ihnen galt das Flachdach als „undeutsch“ und auch sie drückten der Kolonie ihren ästhetischen Stempel auf.
Ein ganz anderes Beispiel für Wohnungsbau ist das Obdachlosenheim an der Teupitzer Straße, ein Musterbeispiel der Neuen Sachlichkeit und Teil der Berliner Bauausstellung 1931. Bei den Notleidenden fand das Asyl jedoch wenig Anklang. Gut angenommen wurde dagegen die Stadtrandsiedlung Neuland I-IV, entstanden in den 1930er-Jahren nahe dem Buckower Damm. In die ersten und kleinsten Häuser zogen Arbeitslose ein, die zuvor beim Bau geholfen hatten und in den Gärten Obst und Gemüse zogen. Später folgten Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg.
Brennpunkte entstehen
Exemplarisch für die Stadtbaupolitik der Siebzigerjahre werden die Weiße Siedlung, die High-Deck-Siedlung (beide an der südlichen Sonnenallee) und das Rollbergviertel vorgestellt. Die ersten Planer setzten auf Höhe, die zweiten auf lange Häuserzeilen, die dritten auf den Abriss der heruntergekommenen Gründerzeithäuser und ringförmige Neubauten. Eine Gemeinsamkeit gibt es: Alle Quartiere entwickelten sich zu schnell zu sozialen Brennpunkten.
Neue und recht erfolgreiche Wege markieren die jüngsten drei Beispiele: Die „Grünen Häuser“ an der Britzer Straße Am Irissee waren Mitte der Achtzigerjahre Paradebeispiele für ökologisches Bauen und Nachhaltigkeit. Das Pilotprojekt Ortolanweg, fertiggestellt 1992, sollte mit Hallenhäusern, einem glasüberdachten Innenhof und einem Gemeinschaftsraum für ein gutes Miteinander der Bewohner sorgen. Zur selben Zeit fiel – ebenfalls in Buckow – nach Mieterprotesten die Entscheidung, die Fünfzigerjahresiedlung am Schlierbacher Weg nicht abzureißen, sondern behutsam zu modernisieren. Die Belohnungen: ein Bauherrenpreis und Menschen, die bis heute gerne dort leben.
Die Ausstellung in der Bibliothek, Karl-Marx-Straße 66, ist bis zum 11. August zu sehen. Geöffnet ist sie werktags von 11 bis 20 Uhr und sonnabends von 10 bis 13 Uhr. Auf die Beine gestellt wurde die Schau vom Mobilen Museum Neukölln und Studierenden des Masters „Historische Urbanistik“ der TU Berlin. Ein Faltblatt mit allen Ausstellungstexten ist kostenlos vor Ort zu haben.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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